Die Geistliche Vokalmusik

Geistliche Musik komponieren …

Th. Laitenberger schrieb als 92jähriger über die Aufgabe, am Ende des 20. Jahrhunderts geistliche Texte zu vertonen – und damit auch über die Musik, die er im Lauf seines Lebens komponiert hat:

 Angesichts des riesenhaften Angebots sowohl alter als neuer Musik für die verschiedensten musikalischen Bedürfnisse muss sich der Komponist mehr denn je die Frage stellen, wozu sein Schaffen dienen soll. Die Weisung Bachs „Zu Gottes Ehre und Recreation des Gemüts“ braucht eine Anwendung auf das Heute, wenn nicht auf das Morgen. Zu entscheiden, welche Konsequenzen aus solcher Haltung zu ziehen sind, ist nicht einfach.

Zunächst ist zu sagen, dass die Vertonung von Texten, die schon unzählige Male vorgenommen worden ist, keine dringende Notwendigkeit ist. Solche Neugestaltungen sind angebracht, wenn eine neue Sicht des geistlichen Anliegens der Texte sich aufdrängt oder die Aussicht besteht, sie in der Musiksprache unserer Zeit eindringlicher zur Geltung zu bringen. Das wird selten der Fall sein.

Wichtiger scheint es mir, Themen zu behandeln, die aus der Perspektive der Bibel zu Fragen der Zeit unmittelbar Stellung nehmen. Damit ist aber auch ein Stil gefordert, der sich nicht in bloßer Destruktion gefällt (wie z.B. John Cage) oder experimentellen Zuschnitt hat, sondern der sich bemüht, möglichst viele aufgeschlossene Hörer zu erreichen, um sie mit den Mitteln der Musik für das zu erwärmen und zu begeistern, was immer, was von alters her Grundlage menschlicher, aber dem Ewigen zugewandter Existenz gewesen ist. Dieser Stil darf sich Neuartigem nicht einfach verschließen, wird aber, um sich verständlich zu halten, angesichts einer unübersichtlichen Vielfalt schwer zu erfassender musikalischer Individualsprachen der Gegenwart wohl mehr auf das traditionell Verankerte setzen oder zumindest dort anknüpfen müssen. Das kann in durchaus fesselnder Weise geschehen …

Aus „Wozu neue Kantaten?“

In: Württembergische Blätter für Kirchenmusik 2/1995

Nachgedruckt in: „Und nicht in Klagen enden …“. 2003